© www.litterula.de

Livi Michael:
Die flüsternde Strasse.

Carlsen, 2005.
ISBN: 3-551-55347-5
512 Seiten, EUR 19,50 (ab 12 J.)

Joe und Annie haben eine lange Odyssee hinter sich: von ihrer Mutter werden sie im Armenhaus abgegeben, das sie an einen Bauernhof abgibt, wo sie hart arbeiten müssen und schlecht behandelt werden. Als sie flüchten landen sie bei Travis, der ihnen zeigt wie man im Wald und auf der Strasse überlebt. Er erzählt ihnen, dass Landstreicher Engel sind, die nicht mehr in den Himmel zurück wollten, und dass ihnen die Strasse beim Laufen Geschichten einflüstert. Die Hundfrau, die mit ihrer Meute zusammenlebt, erinnert sich an die Mutter der Kinder und zeigt ihnen die Richtung. Nach einer Zeit auf dem Markt will sie ein Stellmacher verkaufen, doch ein junger Mann greift ein und bringt sie zum Zirkus. Dort kümmern sich die Lilliputaner Flo und Balthasar um die Kinder, da Annie sie an ihre verstorbene Tochter erinnert. Ehrenmann Bob denkt daran Annies Gabe des zweiten Gesichts zu vermarkten. Da Annie offenbar versorgt ist und Joe endlich frei sein will, läßt er sie dort zurück und schließt sich einer Straßenbande in Manchester an. Er wird "Gauner" und lernt alle Tricks die man zum Klauen und im Bandenkrieg kennen muss. Als die Cholera unter ihnen ausbricht, wird er von dem reichen Sheridan Mosley aufgenommen, der beweisen will, dass das Problem der Armen durch Bildung und Hygiene gelöst werden kann. Doch der scheinbare Wohltäter scheint derjenige zu sein, der arme Kinder von ihren Eltern trennt und sie als billige Arbeitskräfte fortschickt, wie es Joe und Annie und auch Nell widerfahren ist, die er in der illegalen Druckerei von Abel kennenlernt. Joe schlägt Mister Mosley zusammen, um seinem goldenen Käfig zu entkommen und beteiligt sich am Verteilen von Abels Untergrundzeitung. Dabei trifft er Travis wieder und sie finden Annie in einer Irrenanstalt. Ein glückliches Ende zeichnet sich ab.

In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts ist die Industrialisierung in Manchester in vollem Gange. Das Elend der Armen ist groß während Menschen wie Mosley das Sagen und das Geld haben. Das soziale Engagement der Reichen dient weniger dazu, die Armut als die Armen abzuschaffen, die aufbegehren könnten: kostenlose Seife, Geburtenkontrolle, Erziehung - ja, aber keine besseren Wohnverhältnisse, kürzere Arbeitszeiten und Rechte. Joe und Mister Mosley führen interessante Diskussionen darüber, wie den Armen geholfen werden könnte. So wird eine wichtige Phase der Geschichte lebendig und mitten aus der Situation heraus auch für jüngere Leser verständlich. Besser läßt sich eine gesellschaftliche Entwicklung nicht vermitteln.


© Ulrike Schmoller
www.litterula.de