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Joyce Carol Oates:
Sexy.

Hanser, 2006.
ISBN: 3-446-20792-9
208 Seiten, EUR 14,90 (ab 14 J.)

Darren wird von vielen um sein hübsches Äußeres beneidet, von dem sich die Anderen unwillkürlich angezogen fühlen - ohne dabei recht zu bemerken, dass sie an ihn gar nicht herankommen. Seine Eltern, seine Mitschüler und seine Lehrer scheinen sich ihr Bild von ihm zu machen, nach dem er voll und ganz ihren Erwartungen entspricht, das aber Darrens Empfinden nach nichts mit ihm selbst zu tun hat. Was er allerdings jenseits seines Bemühens, es allen Recht zu machen und einen guten Eindruck zu hinterlassen, selbst ist, das weiß der Sechzehnjährige auch (noch) nicht. Im Laufe dieses Buches wird sich der erfolgreiche Schwimmer und Turmspringer Darren buchstäblich freischwimmen.

Eigentlich ist nichts passiert auf jener Heimfahrt im Auto mit seinem Englischlehrer Mr. Tracy, oder doch? Darren fühlt sich auf dem Beifahrersitz mehr als unbehaglich, Tracys Fragen und sein Lob berühren ihn peinlich und verwirren ihn, dessen Interesse erlebt er als Übergriff und als ihm aufgeht, auf welche Art Tracy ihn wiederholt in der Badehose betrachtet hat, wird ihm regelrecht schlecht. Völlig entgeistert und schockiert flüchtet er, als der Lehrer ihm das Du anbietet, eine Unangemessenheit, die Tracy sofort bereut. Darren weist das Angebot, ihm eine gute Aufsatznote zu verschaffen, zurück und zeigt Tracy damit deutlich seine Grenzen. So weit so gut, doch als seine Freunde aus Ärger über die schlechte Benotung in Englisch eine Mobbing-Kampagne gegen Tracy starten, hält Darren sich heraus und greift nicht ein. Selbst als der Spaß außer Kontrolle gerät und Tracy Darren darum bittet, seinen guten Leumund zu bestätigen, wagt es Darren nicht, sich hinter seinen Lehrer zu stellen und gegen seine Freunde auszusagen, womit er an dessen Selbstmord Mitschuld trägt. Er ist feige, doch der Schuldirektor, den er zur Rede stellt und der sein Gesicht zu wahren bemüht ist, ist es nicht weniger. Darren widmet seinen unerwarteten Sieg im Schwimmwettkampf schließlich in aller Öffentlichkeit Mr. Tracy und rehabilitiert ihn damit. Darren lernt für sich, das Gefühl zu akzeptieren, dass er noch unsicher ist, was er machen möchte, doch er weiß, dass er nichts tun muss, was er nicht will.

Ähnlich wie in "Unter Verdacht" schreibt Oates hier über Gerüchte, Mutmaßungen, Vorurteile und gesellschaftlichen Druck, die sich verselbständigen und zu einem tödlichen Coctail werden. Wie in "Mit offenen Augen" passiert scheinbar nichts und doch sind die seelischen Qualen unerträglich, die den Protagonisten die moralische Herausforderung abverlangen, sich zu stellen. Oates gestaltet dieses scheinbare Nichts mit einer Rafinesse, die genau mit diesem Widerspruch zwischen den eigenen Ich-Impulsen und dem Bild nach außen spielt. Darrens Laschheit und sein Versuch, in die Anpassung zu entfliehen, könnten langweilen und lähmen, doch die feinen Elemente der Steigerung und die zunehmende Diskrepanz halten die Spannung bis zum Schluß. Darrens Ängste und seine Feigheit sind realistische Überlebenstechniken, er ist kein großer Held und wird doch am Ende zu einem.


© by Ulrike Schmoller
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