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Karla Schneider:
Marcolini oder wie man Günstling wird.

Hanser, 2007.
ISBN: 978-3-446-20905-3
413 Seiten, EUR 17,90 (ab 12 J.)

Das Barock war, zumindest bei Hofe, eine schwülstige Zeit voller Äußerlichkeiten, opulenter Stoffe, überquellender Tische, mit reichlich Etikette bei wenig Hygiene, voller Intriganz und Verlogenheiten, voller Geschacher und gegenseitigem Belauern um das eigene Scherflein ins Trockene zu bringen. Diese Zeit bietet geradezu ideale Grundlagen, einen sogenannten "Kostümfilm" zu drehen, der seine fehlende Handlung durch weitschweifende Bilder wettmacht. Diese Art des Erzählens gibt es natürlich auch in der Literatur, und man kann sie mögen oder nicht. In der Kinder- und Jugendliteratur findet man solcherlei Schwelgen selten, doch hier scheiden sich die Geister noch schärfer, und es stellt sich die Frage ob Heranwachsende überhaupt zu solchen Büchern greifen.

Karla Schneiders Stärke sind ihre sinnlichen, detaillierten Beschreibungen der Milieus, der Personen und der sie umgebenden Dinge. Alles bekommt Farbe - zum Beispiel die Neueste aus Paris: Cuisse de Nymphe-, Geschmack, dass einem beim Lesen das Wasser im Mund zusammenläuft, und Geruch, etwa wenn sie die Ausdünstungen in einem Schlafsaal voller Jungen erwähnt. Marcolini ist einer der Pagen, die am Dresdner Hof ihren Dienst verrichten dürfen, und da sie dabei nicht viel zu erwarten haben, durch die Hintertür das eine oder andere beiseite bringen und sich ihre kleine Fluchten suchen. Der kleine Italiener träumt indes vom Aufstieg und hält sich damit über Wasser. Es sind jedoch nicht seine Fähigkeiten, die ihn zum Kammerpagen des Kurprinzen Friedrich August machen, sondern seine Zurückhaltung und seine scheinbare Einfältigkeit, die ihn für die Prinzessin Maria Antonia zum idealen Medium machen um ihren Sohn auszuhorchen, den sie durch eine Intrige um seine Thronfolge betrügen will. Der zwölfjährige Kurprinz, der durch den Tod seines Vaters zum Thronanwärter wurde, ist jedoch beileibe nicht so dumpf wie seine Mutter meint und seine physische Eingeschränktheit vorgibt, sondern gebildet, wissenschaftlich interessiert und zäh, dabei allerdings sehr einsam. Nun entspinnt sich zwischen Marcolini und dem bedachten Jungen eine Freundschaft, die ihn Friedrich August schätzen lehrt, und dem er durch seine sanfte Beeinflussung die Welt nach draußen öffnen kann. Er managt im Hintergrund so manches für den Prinzen und bringt vollen Einsatz um das große Desaster in letzter Minute zu verhindern - das einzige wirklich spannende Element dieses Buches, das etwas Zugkraft besitzt und leider auf seinem Höhepunkt wie eine Seifenblase zerplatzt. Herzklopfen darf man von diesem Buch nicht erwarten. Wem es jedoch gefällt, 410 Seiten lang im 18. Jahrhundert aufzugehen und sich auf barocke Verzierungen einzulassen, der ist am Dresdner Hof richtig. Der Gewinn steigt noch, wenn man Französisch- und Italienisch-Kenntnisse hat, da Karla Schneider immer wieder Ausrufe in der damaligen Hofsprache einfügt und Marcolini natürlich oft in seine Heimatsprache zurückfällt. Nicht alles wird im Zusammenhang übersetzt, nicht alles taucht im Glossar auf, das man auch nicht unentwegt bemühen will, und mitunter bekommt es durch die Schreibweise einen sächsischen Einschlag. Ohswiwang!

Falls es Jugendliche gibt, die den Marcolini tatsächlich gelesen haben: Eure Meinung würde mich wirklich interessieren, vielleicht mögt ihr mir ja etwas dazu schreiben.


© by Ulrike Schmoller
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