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Paule du Bouchet:
Sing, Luna, sing.

Urachhaus, 2010.
ISBN: 978-3-8251-7684-6
208 Seiten, EUR 14,90 (ab 14 J.)

Das Cover irritiert mich. Da blickt einem ein strahlendes Mädchen mit einem langen blonden Zopf entgegen, die Mauer im Hintergrund sieht nicht sehr hoch aus, und die Frau auf der Seite scheint gerade vom Einkaufen zu kommen. Im Untertitel heißt es: "Ein Mädchen erlebt das Warschauer Ghetto". Das war doch kein Ponyhof!

Dass Luna keine jüdischen Rassemerkmale aufweist, bewahrt sie nicht davor, mit ihrer Familie im Ghetto wohnen zu müssen. Sie hat aber eine andere Gabe mitbekommen, die sie von klein auf besonders machte: ihre Mondenstimme, mit der sie singen kann wie reines Silber. Mit ihrem Gesang tröstet sie sich - denn viele der vielen Toten haben Gesichter, die ihr vertraut sind - und ihre Mitmenschen immer wieder und vertreibt so für eine Weile die Angst und die Verzweiflung, sei es in dem Kinderchor, den sie gründet, beim Abmarsch des Waisenhauses von Janusz Korczak oder im Eisenbahnwaggon ins Vernichtungslager. Das Singen wird Nahrung und Kraftquelle für alle, die Luna hören - und es rettet sie selbst vor dem Tod. Denn da gibt es zwei Augen in der Dunkelheit und zwei Ohren, die immer dann da sind, wenn Luna in allerhöchster Not ist…

Luna fragt sich, wie denn auf einmal ein ganzes Volk ganz gut und ein anderes ganz schlecht sein soll. Sie sieht, wie die Menschen um sie herum lieber in der Hölle bleiben, als ihre Familien zu verlassen und sie kennt viele, die wie Rosa dem Tod ins Auge gesehen haben und sich nun frei von Angst für den Widerstand einsetzen und den Aufstand planen. Bei ihren Einsätzen jenseits der Mauer ist Lunas polnisches Aussehen nun eine große Hilfe.

Wie konnte sie soviel Schmerz ertragen? "Weil wir keine Zeit hatten, weil man im Ghetto nur Zeit für das Überleben hatte, nicht für das Leid." Luna sagt im Rückblick: "Wir konnten gar nicht einschätzen, was wir da durchlebten. Ein Übermaß an Härten und Schrecken. Doch es war, als schaute man ein Schwarzweißfoto an: Die Intensität der Schwarz- und Grautöne zeigt, dass Farbe existiert. So war es mit unserem Leben: Es war von absoluter Schwärze, aber wir erkannten darin Umrisse, Reliefs, Empfindungen. Farben. Gleichwohl war es ein Leben. Unser Leben. Ich habe es nur in den Augen der anderen als untragbar wahrgenommen." Der Verdienst von Paule du Bouchet ist, dass sie diese Schattierungen herausgearbeitet hat. Aus diesem Blickwinkel ist das Cover dann wieder stimmig. Aber vielleicht wäre "überlebt" das passendere Verb gewesen. Ich halte es ab 14 Jahren für empfehlenswert.

© by Ulrike Schmoller
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