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Mir doch egal! Abbing / van Cleef:
Mir doch egal!

Verlag Urachhaus, 1998.
206 Seiten, DM 26.-- (ab 13 J.)

"Das einzige auf der Welt, an dem ich hänge, ist mein Computer. So regeln sich die Dinge immer irgendwie von selbst, oder? Ich meine, ich habe mich mein Leben lang auf niemanden eingelassen und die meiste Zeit werd ich auch von anderen in Ruhe gelassen. Ist doch alles in bester Ordnung. So gibt es keine Verlierer" (S.120), sagt Sara zu Matt.

Daß es für die fünfzehnjährige Sara doch einmal Menschen gegeben hat, mit denen sie sich verbunden fühlte, hat sie "vergessen" wie die vielen Adressen, die sie schon hatte. Mit jeder Zurückweisung, jeder neuen Pflegefamilie zog sie sich mehr in sich zurück und verbarg ihr Innerstes hinter Schutzmauern aus Gleichgültigkeit und Coolness. Das Einzige, was sie durch den Alltag trägt, ist die Aussicht, an ihrem 16. Geburtstag endlich unabhängig zu sein. So kommt sie schließlich

zu den Huddlestons, zu Ma, einer warmherzigen, gesprächigen Frau und ihrem Mann Hud, einem Bär von Farmer, die beide reich an gesundem Menschenverstand sind und außer Sara noch die Pflegekinder Nick und Josh betreuen. Sara vertraut sich ihrem Computer an und dokumentiert so, wie sie allmählich und sich sträubend innerlich auftaut und zu ihren neuen Mitmenschen in Beziehung tritt. Es beginnt damit, daß sie dem anhänglichen vierjährigen Josh, der ihr mit offenen Augen zuhört, die Geschichte erzählt, die dem Buch auch den kanadischen Originaltitel gegeben hat ("Adam and Eve and Pinch-me"): "Adam und Eva und Zwick-mich gingen zum Fluß, um zu baden. Adam und Eva fielen ins Wasser und rate mal, wer übrig blieb." Josh reagiert so verletzt auf Sara's Zwicken, daß sie wahrnimmt, "daß um den Schokoladeblick etwas zerbrochen war" und sich, erstaunt über sich selbst, darum bemüht, sein Vertrauen wiederzugewinnen. "Das Leben hier fängt an, mir unter die Haut zu gehen", schreibt sie. Sie versucht nicht an ihre Vergangenheit mit ihren abgrundtiefen gurgelnden schwarzen Löchern zu denken. Sie sucht sich einen Job in einem Cafè, beginnt das Manuskript eines Schriftstellers abzutippen, lernt den jungen Matt kennen und eine Frau taucht auf, die ihr "Baby" sucht, das sie vor 15 Jahren zur Adoption freigegeben hat, eine Entscheidung, die sie inzwischen bereut. Eine Anzeige von ihr hatte Sara vor einiger Zeit ausgeschnitten, in ein schwarzes Herz gesteckt und "zu spät" darauf geschrieben. Nun zieht sie immer engere Kreise um Sara und beide scheinen zu wissen, daß sie Mutter und Tochter sind. Sara fühlt sich zu "dieser Frau", wie sie sie nennt, hingezogen, flüchtet aber gleichzeitig vor ihr. Mit ihrem leeren Blick und ihrer Leblosigkeit verkörpert diese das krasse Gegenteil des archetypischen Ehepaares Huddleston, auch ist sie in ihrer Besessenheit nicht ganz uneigennützig, da sie jemanden sucht, der ihre Plastikblumenfabrik (!) übernimmt. Dennoch erwägt Sara ernsthaft, ob sie zu ihr gehen soll als ihr Pflegevater stirbt, und die zarten Beziehungen der Pflegefamilie zu zerbrechen drohen. Tagelang liegt sie krank im Bett, unfähig sich zu entscheiden, bis schließlich "die Frau" von sich aus auf die elegante Lösung kommt, daß ihr Baby noch nicht so erwachsen sein könne wie Sara und es sich um einen Druckfehler handeln müsse. Dennoch überreicht sie Sara zum Abschied einen Schlüssel ihrer Wohnung und schenkt ihr damit die Freiheit, Kontakt zu ihr aufnehmen zu können, wenn sie es will. So kann Sara bleiben und durch ihr Helfen ein Zerbrechen der Pflegefamilie abwenden, ein Segen für Josh, der sie "Bruder Sara" nennt und für sie selbst, die sich als Teil der Farm erlebt, als angewurzelt und sich auf die vielen Möglichkeiten freut, die die Zukunft offenhält. An ihrem sechzehnten Geburtstag, an dem sie eigentlich hatte abhauen wollen, steht sie nun verantwortlich in der Welt, eingebunden in ein Beziehungsgeflecht, das sie trägt, und mit einer Vergangenheit, die zu ihr gehört. "Wenn man mal was niedergeschrieben hat, kann man nicht mehr so tun, als ob man nicht existiert" (S.206).

Es gibt nicht viele Bücher, die einen so berühren wie dieses. Die Autorin schildert Saras Verletzlichkeit mit Zartheit und Gespür, und dadurch, daß sie die Ich-Perspektive gewählt hat und der Leser sozusagen selbst in Saras undurchdringlichen Mauern sitzt, paßt die ruppige und oft abweisende Sprache dazu. Die vielen herzerwärmenden Szenen, in denen Sara einen Stein nach dem anderen aus ihrem Schutzwall nimmt und eine Begegnung zuläßt, sind so glaubhaft, weil Saras Widerstände nicht ausgespart werden.

"Mir doch egal!" dürfte den Nerv vieler Jugendlicher treffen. Ein sehr empfehlenswertes Buch!

© Ulrike Schmoller
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