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Vom Wunder des Kindseins Henning Köhler:
Vom Wunder des Kindseins.

Verlag Freies Geistesleben, 2000.
66 Seiten, DM 24,80

Dem Buch "Vom Wunder des Kindseins" liegt ein Vortrag zugrunde, den Henning Köhler 1998 vor der Montessori-Gesellschaft in Österreich gehalten hat. Es ist ihm ein Anliegen der zunehmenden Pathologisierung von abweichendem Verhalten eine neue therapeutische Sichtweise entgegenzustellen, wie er es auch in seinen Büchern "Vom Ursprung der Sehnsucht" und "Schwierige Kinder gibt es nicht" getan hat. Er arbeitet seine Kindheitsidee heraus, indem er die Thesen bedeutender Pädagogen des zwanzigsten Jahrhunderts darstellt und zueinander in Beziehung bringt. An Janusz Korczak schätzt er vor allem den individualistischen Ansatz, seine Forderung nach Gleichberechtigung zwischen Erwachsenen und Kindern sowie seinen Respekt vor dem Schicksal und die Dankbarkeitshaltung derjenigen, die so einem kleinen Menschen begegnen dürfen. Henning Köhler geht der Frage nach, ob das Neugeborene eine "tabula rasa" ist oder ob es von seinem genetischen Programm determiniert ist und findet sowohl bei Rudolf Steiner, Maria Montessori und James Hillmann Hinweise darauf, dass die Individualität eines Kindes schon vor der Geburt existiert und sich mit Hilfe seines Engels und konkreter Willensimpulse inkarniert. Die Aufgabe der Erziehung ist es, dem Kind zur Entfaltung seines individuellen Wesens zu verhelfen. Dazu gehört, ihm einen Schutzraum zu schaffen, seine Kreativität durch nachahmende Bewegung und seine Sinnesentwicklung durch natürliche Lebensbedingungen zu fördern. Das Kind braucht keine oberflächliche Harmonie, sondern das Bemühen der Menschen, alles immer wieder gut zu machen, ihre Aufmerksamkeit, Würdigung und Hingabe statt dem "defektivistischen Blick", der nur das Störende wahrnimmt. Am Beispiel eines Jungen aus seiner Praxis stellt er seine Vorgehensweise dar.

Nach einigen recht anspruchsvollen Büchern Henning Köhlers liegt mit "Vom Wunder des Kindseins" ein gut strukturiertes, leicht zugängliches Werk vor, das den Leser durch seinen Vortragscharakter unmittelbar anspricht. Die Kinderfotos von Eckehard Jonalik verleihen dem Buch eine hohe Attraktivität, indem sie den Text ergänzen und die ausgewählten Zitate noch deutlicher ins Bewußtsein heben. Die Stimmungen der Bilder sind so vielfältig, dass alle Seiten des Kindseins vorkommen dürfen, die schönen und die dunklen: da gibt es ganz durchlässige verletzliche Kinder, ernste und verträumte, fröhlich springende, aber auch ein Weinendes. Fotos und Text bilden eine Einheit und erhöhen sich gegenseitig.

Henning Köhler richtet sich an ein Publikum, das sich nicht aus Waldorfanhängern zusammensetzt. Er ist auf sachliche Art um Dialog bemüht, scheut sich nicht die eigene Anschauung zu hinterfragen und sagt doch deutlich seine Meinung. Man spürt seinen Erfahrungsschatz und die hohe Sensibilität, mit der er sich in die Kinderseelen einzufühlen vermag.

"Vom Wunder des Kindseins" eignet sich gut als Einstieg, sei es in die Waldorfpädagogik oder in eine erste Beschäftigung mit Henning Köhler, sei es in das Elternsein an sich - und es bietet auch Gelegenheit zum Ausstieg aus manchem festgefahrenen Verhaltensmuster.

© Ulrike Schmoller
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