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Iris Johansson:
Eine andere Kindheit.

Urachhaus, 2012.
ISBN: 978-3-8251-7791-1
414 Seiten, EUR 24,90

Der Hof war ihre Rettung, sagt Iris. Auf dem großen Gehöft ihrer Eltern lebten Verwandte, allerlei eigenartige Gestalten und zahlreiche Sommerkinder aus Heimen in einer offenherzigen, bunten Gemeinschaft zusammen. Ihr Vater war ein unkonventioneller und neugieriger Mensch, der Besonderheiten mit Staunen und Interesse begleitete. Mit liebevoller Geduld brachte er seine kleine Tochter, die keinerlei Bedürfnisse äußerte und in ihrer eigenen Welt lebte, mitten ins Geschehen, beruhigte sie bei ihren Anfällen, bei denen sie schrie, biss und Stereotypien zeigte, und übte hartnäckig mit ihr die alltäglichen Fertigkeiten. Seine neutrale Haltung öffnete Iris einen Zugang zur normalen Welt. Von Anfang fühlte sie sich im Umkreis bestimmter Menschen wohl, während sie bei anderen, etwa ihrer Mutter, Vergnügen an deren emotionalen Ausbrüchen fand, die sie als bunte Farben und Formen erlebte. Sie zeigte schon früh die Fähigkeit, die Gefühlsaura und die Gedanken anderer unmittelbar zu durchschauen und sie auch zu beeinflussen. Am liebsten schaukelte sie sich in die "richtige Welt", ins Außen hinein, in der sie außerkörperliche Erfahrungen mit ihren Freunden Slire und Skydde machen konnte. Doch mit 12 Jahren verabschiedete sie sich bewusst von ihnen und entschied sich für die normale Welt, um den anderen zeigen zu können, wie sie miteinander reden können. Nun begann eine spannende Zeit, in der sie unermüdlich um ein Verständnis der Regeln und Konventionen rang. Sie machte eine Lehre in einem Friseursalon, arbeitete in einem Krankenhaus und studierte schließlich, wobei sie die Prüfungen dadurch bestand, dass sie die Gedanken der Prüfer lesen konnte. In der Sozialarbeit und Kommunikationsberatung wird sie seitdem zunehmend für ihre Fähigkeit geschätzt, Konflikte zu durchschauen und heilend auf die Atmosphäre einwirken zu können.

Iris Lebensgeschichte ist unglaublich und verblüffend. Sie kann uns einen Einblick in ihre autistische Erlebensweise geben und regelrecht unterhaltsam viele kleine Episoden aus ihrer besonderen Geschichte erzählen. Dadurch ergibt sich ein ganz neuer Blick auf den Autismus. Für Eltern und Betreuer autistischer Menschen wird besonders interessant sein, welche Bedeutung sie einer erwartungsfreien inneren Haltung beimisst. Ob man "Eine andere Kindheit" wie einen Roman, als Biographie oder als Fachbuch liest, man wird in jedem Fall großen Gewinn daraus ziehen.

© by Ulrike Schmoller
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